Demokratie unter Druck: „Ich dachte immer, dass wir in unser Entscheidung frei sind!“

16. Oktober 2011
Von

Führten schwerwiegende Versäumnisse der Schulzendorfer Bauverwaltung  und des Hauptamtes im 16 Kilometer Straßenausbau dazu, dass Bürgermeister Markus Mücke bei der Umsetzung des Projekts keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Gemeindevertreter unter Druck zu setzen? Was ist dran an den Vorwürfen, die der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN)  erhebt?

Standen Schulzendorfs Gemeindevertreter unter Druck, als sie das Straßenausbauprogramm beschlossen? Der VDGN meint ja und stellte Strafanzeige gegen Bürgermeister Markus Mücke. (Foto:Wolff)

2007 hatten sich Schulzendorfs Gemeindevertreter darauf verständigt, 16 Kilometer Sandpisten in der Gemeinde neu zu bauen. Neue Straßen müssen natürlich von den Anliegern bezahlt werden. Doch damit die Verwaltung überhaupt Beiträge von den Anliegern kassieren kann, müssen die Abgeordneten ein detailliertes Straßenausbauprogramm beschließen. Es dürfen keine Straßen gebaut werden, für die keine Straßenbaubeiträge erhoben werden.

2010 löste Bürgermeister Markus Mücke die Ausschreibung für die Baumaßnahme aus, Anfang 2011 unterschrieb er den Vertrag mit den Bauunternehmen, im März 2011 begannen die Bauarbeiten. Doch ein beschlossenes Straßenausbauprogramm gab es nicht.

SPD Fraktionschef Hans Georg Bäumer bekam "Gänsehaut" als er von möglichen strafrechtlichen Konsequenzen in der Abstimmungsangelegenheit erfuhr! (Foto: Wolff)

Offenbar ein  großer Fehler von Bürgermeister Markus Mücke, den selbst der Rechtsbeistand der Gemeinde Schulzendorf, Dr. Ulrich Becker einräumte. „Ordnungsgemäße Verwaltung heißt, man überlegt sich was man möchte, legt anschließend die Parameter fest und beschließt sie dann in der Gemeindevertretung. Es wäre besser gewesen, das Ausbauprogramm vor der Ausschreibung zu beschließen.“, so der Fachanwalt für Verwaltungsrecht, der gleichzeitig auch Richter des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg ist.

Als Schulzendorfs Verwaltung diesen Makel sehr spät erkannte, drängte Bürgermeister Markus Mücke auf Tempo. Noch vor der Sommerpause sollte das Straßenausbauprogramm beschlossen werden. Doch Ines Fricke von der Linkspartei machte Mücke einen Strich durch die Rechnung. Sie beantragte für Ihre Fraktion, das Straßenausbauprogramm zunächst in den Ausschüssen der Gemeindevertretung zu beraten, die Mehrheit der Gemeindevertreter folgte ihrem Antrag. Bürgermeister Mücke war vom Abstimmungsergebnis sichtlich geschockt. „Ich sprach vorhin von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Gemeindevertretung,  ich weiß nicht ob ich das jetzt noch wiederholen kann.“, konstatierte Mücke. Für ihren Vorstoß erntete Fricke aus der Fraktion Kritik, die Bürgermeister Markus Mücke einst in das Amt befördert hatte – der SPD!

 

Bernd Puhle (BürgerBündnis freier Wähler): "Ich lasse mich nicht einschüchtern!" (Foto:Wolff)

Im September 2011 begannen in den Ausschüssen die Beratungen zum Straßenausbauprogramm. Der erste Stimmungstrend verhieß dabei nichts Gutes. Denn im Sozialausschuss votierten lediglich zwei Gemeindevertreter dafür, zwei dagegen und drei enthielten sich der Stimme. Im Ortsentwicklungsausschuss kam es noch viel schlimmer für Bürgermeister Markus Mücke. Vier Gemeindevertreter stimmten gegen das Straßenausbauprogramm und nur zwei dafür!  Bahnte sich hier ein Mega GAU an? Werden in Schulzendorf Straßen gebaut, für die keine Beiträge erhoben werden können? Das käme einer Pleite gleich, Schulzendorf würde in diesem Fall zwangsverwaltet werden – ein Horrorszenarium!

Nach den beiden Ausschusssitzungen mit einem schlechten Ausgang schrieb Bauamtsleiterin Nulle am 9. September 2011 einen drei Seiten langen Rundbrief an die Gemeindevertreter. In ihm appellierte sie um Zustimmung zum Straßenausbauprogramm. Nulle wies erstmals auch auf Konsequenzen hin, falls das Programms nicht beschlossen werden würde: „Verstöße gegen die Beitragserhebungspflicht können sowohl für den Bürgermeister als auch für die Gemeindevertreter unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen haben.“

Diesen Hinweis fassten mehrere Gemeindevertreter als Drohung auf. „Ich tue mich persönlich schwer, wenn den Gemeindevertretern strafrechtlichen Konsequenzen angedroht werden. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich so etwas lese. Ich dachte immer, dass wir in unserer Entscheidung frei sind.“, meinte SPD  Fraktionschef Hans Georg Bäumer.

Ortsentwicklungschef Joachim Kolberg (CDU): "Ich fühlte mich unter Druck gesetzt" (Foto: Wolff)

Der CDU Fraktionsvorsitzende Joachim Kolberg wurde noch deutlicher. „Ich als Gemeindevertreter fühlte mich durch die Äußerung in dem Brief der Bauamtsleiterin sehr wohl unter Druck gesetzt. Ich bin in erster Linie dem Wohl der Bewohnerinnen und Bewohnern Schulzendorfs verpflichtet. Wenn die Abgeordneten jetzt schon wieder durch Druck und Erpressung in ihrer Entscheidung beeinflusst werden sollen, weiß ich nicht wo die Reise dann zukünftig hingeht. Im Übrigen ist dies die Fortsetzung der versuchten Beeinflussung durch den Bürgermeister, als er Gemeindevertreter durch Befangenheitsanträge ausschalten wollte.“, so Kolberg.

Auch der Fraktionsvorsitzende vom BürgerBündnis freier Wähler, Bernd Puhle fühlte sich in der Sache unter Druck gesetzt. „Natürlich wurde seitens der Verwaltung Druck aufgebaut. Wenn mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht wird, ist es schon so, dass man im ersten Moment zurückschreckt. Nun bin ich allerdings nicht so schreckhaft und lasse mich auch nicht einschüchtern.“, bekannte Puhle.

In der Gemeindevertretersitzung am 28. September stimmten Bernd Puhle (BürgerBündnis freier Wähler) und Anna Florientina Kesser (FDP) gegen das Straßenausbauprogramm. Gernut Franke (BürgerBündnis freier Wähler) und Joachim Kolberg (CDU) enthielten sich der Stimme. Alle anderen stimmten für die Verabschiedung des Programms.

 

.

 

6 Responses to Demokratie unter Druck: „Ich dachte immer, dass wir in unser Entscheidung frei sind!“

  1. Ulrich Gille
    17. Oktober 2011 at 14:03

    Ich habe das Gefühl.dass wohl nicht nur der Bürgermeister in Schulzendorf auf dem falschen Stuhl sitzen.
    Was die Gemeindevertreter betrifft,die sich dem Druck beugten,sollte das bei der nächsten Wahl nicht vergessen sein!

  2. 17. Oktober 2011 at 13:38

    Sehr interessant!

    Herrn Mücke und den Ihm unterstehenden Ämtern gelingt es also nicht, eine Drohkulisse aufzubauen, der sich die Gemeindevertreter beugen. Gut so!

    Meines Wissens ist es leider nicht das erste Mal, dass Zustimmungen später oder zeitlich so kurz vor Ende des Ablauf eines Angebots eingeholt werden. Diese Taktik bemängelte Herr Mücke allerdings schon beim vorhergehenden Bürgermeister.

    Aber da war er noch Gemeindevertreter…

    btw: Wie kann sich ein Rechtsbeistand überhaupt derart äußern? In diesem Fall obliegt ihm die Pflicht solche Situationen zu verhindern, oder wurde er wieder erst kontaktiert, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war? Den Äußerungen nach scheint es das Letztere gewesen zu sein.

    Das Verfahren in solchen Angelegenheiten ist eigtl. jedem Beteiligten in groben Zügen bekannt, nur die Durchführung funktioniert nicht. Man kann erst ein Angebot einholen, wenn alle Detailfragen geklärt sind. Dazu zählt auch die Finanzierung!

    Nur mal eben abstimmen ist heutzutage nicht möglich. Um glaubwürdig zu sein muss man bereit sein, scheinbar günstige Angebote auszuschlagen und den Sachverhalt stattdessen intensiver prüfen (sind alle ‘Scheine’ und Beschlüsse vorhanden etc.).

    Ich habe Herrn Mücke nicht gewählt, und das war gut so.

  3. Tiefflieger
    Tiefflieger
    17. Oktober 2011 at 05:29

    Es ist das blanke Chaos was im Bauamt herrscht! Anstelle eines Rechtsamtes benötigen wir kompetente und sachkundige Amtsleiter. Die Bauamtsleiterin muss sich in dieser Situation auskennen, doch das Gegenteil ist der Fall. Und Herr Mücke tapptnatürlich auch wieder ins Fettnäpfchen, er muss doch wirklich pro Woche drei paar neue Schuhe benötigen.

  4. sapere aude!
    16. Oktober 2011 at 22:47

    Da haben sich doch einmal wieder die Politiker gegenseitig mit Machtspielchen aufs Kreuz gelegt – ohne Kenntnis der Rechtslage! Und das Amt greift nicht mit Kompetenz ein. Da bedarf es wieder einmal eines Externen. Warum wurde wohl das Rechtsamt abgeschafft?

    Bezahlen muss es wieder der dumme Bürger … :((

    Sapere Aude!!!

  5. Unbekannt
    16. Oktober 2011 at 20:02

    Also für diesen Beitrag wird sie die Gemeinde irgendwo mal wieder vor der Tür stehen lassen.
    Für mich steht fest, dass die Gemeindevertreter sehr wohl unterdrückt wurden. Wie sonst ist es zu erklären, dass allein in zwei Ausschüßen 6 Gemeindevertreter gegen das Straßenprogramm waren, in der Gemeindevertretersitzung dann nur noch zwei? Da paßt doch etwas nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige

Anzeige

Anzeige