Im Kreuzverhör: „Viele haben das Gefühl, dass sich zu wenig bewegt.“

27. März 2023
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Zeuthens Bürgermeister Sven Herzberger stürmte 2017 das Rathaus. Über 60 Prozent wählten ihn zum Bürgermeister. Seit seinem Amtsantritt hat er sich zum politischen Schwergewicht in der Region heraufgearbeitet. Doch in letzter Zeit verblasst sein einstiger Glanz. Im Rathaus kriselt es, Projekte kommen ins Stocken, die Transparenz ist getrübt. Der Schulzendorfer sprach mit Gemeinderat Prof. Jonas Reif (Bündnis 90/Die Grünen) über Zeuthen:

Seit der Ankündigung von Sven Herzberger als Landrat zu kandidieren, ist es sehr ruhig in Zeuthen geworden – so zumindest die Außenwahrnehmung. Täuscht der Eindruck?

Prof. Jonas Reif: Etwas. Die Entscheidung unseres Bürgermeisters hat in der Tat – zumindest zeitweise – den Fokus öffentlicher Diskussionen verschoben. Viele begrüßen es, dass er sich als unabhängiger Kandidat, der über klassische Parteilager hinweg unterstützt wird, für diesen wichtigen Posten zur Wahl anbietet und es damit über die „üblichen Verdächtigen“ hinaus eine Alternative gibt. Andere fragen sich, ob Zeuthen Sven Herzberger nicht mehr gut genug war.

Jonas Reif.

Die Grünen haben sich entschieden, mit einer eigenen Kandidatin anzutreten. Warum?

Prof. Jonas Reif: Wir haben zunächst sehr aufmerksam beobachtet, mit welchen Kandidaten die anderen politischen Mitbewerber antreten.  Im Ergebnis mussten wir feststellen, dass bestimmte Perspektiven und Schwerpunkte bislang nicht ausreichend vertreten sind und wir den Wähler eine weitere Option anbieten wollen.

Der Landkreis Dahme-Spreewald gehörte lange zu den prosperierenden Regionen Ostdeutschlands. Dieser Erfolg wurde erkauft, in dem man den Norden zunehmend zugebaut hat, ohne die Nachhaltigkeit zu hinterfragen – Stichwort Gewerbeparks. Die soziale und verkehrliche Infrastruktur ist dabei oftmals nicht mitgewachsen.

Sabine Freund als langjährige Gemeindevertreterin in Schönefeld kennt diese Wachstumsschmerzen sehr gut. Wenn der Norden des Landkreises auch noch in 20 Jahren ein lebenswerter Raum bleiben soll, dann muss hier stärker gelenkt werden. Ein wichtiger Baustein für uns Grüne ist ein deutlich besserer Öffentlicher Nahverkehr – inklusive U7 bis zum BER. Auch wenn es aktuell dazu noch keine Perspektive gibt, sollte zumindest eine spätere Erweiterungstrasse Richtung Waltersdorf, Schulzendorf und Zeuthen planerisch freigehalten werden. Außerdem muss sich der Landkreis bei neuen Sekundarschulen im Norden den Hut aufsetzen – auch finanziell. Vor allem aber müssen Naturräume zwischen den Ortschaften erhalten bleiben. Wir dürfen nicht im Siedlungsbrei ersticken.

Zurück nach Zeuthen. Die Diskussion um die zweite Grundschule wurde vor zwei Jahren erbittert geführt. Jetzt hört man gar nichts mehr von dem Projekt.

Prof. Jonas Reif: Das Projekt ist nicht beerdigt, aber meine schon damals geäußerten Bedenken, dass eine zweite Grundschule an einem solchen Standort nicht binnen zwei bis drei Jahren realisierbar ist, haben sich bestätigt.

Dennoch will sich Zeuthen nicht an einer neuen möglichen Grundschule in Schulzendorf beteiligen?

Prof. Jonas Reif: Sie würde uns auch nicht helfen. Nach derzeitigem Kenntnisstand haben wir vor allem bis 2026/27 Platzprobleme, danach entspannt sich die Situation langsam. Wir brauchen also eine sofortige Lösung.

Das heißt dann also Container?

Prof. Jonas Reif: Wenn der 2017 von der Gemeindevertretung beschlossene Multifunktionsbau schon fertig wäre, hätte man darauf verzichten können.  Jetzt kommen wir an den Containern nicht mehr vorbei. Das war eigentlich schon Anfang 2022 klar. Aber leider hat es etwas gedauert, bis die Verwaltung zu dieser Einsicht gelangte.

Kritik an der Verwaltung, heißt auch Kritik an Sven Herzberger, oder?

Prof. Jonas Reif: Er ist der Chef der Verwaltung. Die Probleme im Bereich Kita und Schule sind seit längerem bekannt. Andererseits sind auch seine Möglichkeiten begrenzt. Mit der Bildung des temporären Schulausschusses 2022 hat die Gemeindevertretung ihre Unterstützung zur besseren Kontrolle und beschleunigten Entscheidungsfindung nochmals deutlich gemacht. Wenn man etwas erreichen will, braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen Gemeindevertretung und Verwaltung. Personalpolitische Entscheidungen hat allerdings der Bürgermeister zu treffen. Sie müssen verständlicherweise aber gut abgewogen sein. Ohnehin haben wir schon eine sehr schwierige Personallage.

Rathaus Zeuthen.

Was meinen Sie damit?

Prof. Jonas Reif: Viele Zeuthener haben – berechtigt – das Gefühl, dass sich in Zeuthen zu wenig bewegt. Auch für uns Gemeindevertreter ist es ernüchternd, wenn man Gelder für Projekte in den Haushalt einstellt, sie dann aber nicht realisiert werden. Ein Hauptgrund dafür ist inzwischen unsere prekäre Personalsituation.

Wichtige Stellen sind derzeit nicht besetzt oder langzeiterkrankt. In einigen Verwaltungsbereichen ist das Durchschnittsalter bei deutlich 55+. Jüngere Mitarbeiter nach Zeuthen zu holen und hier auch zu halten, stellt sich zunehmend als Problem dar. In der freien Wirtschaft wird besser bezahlt. Und wer in den öffentlichen Dienst will, der hat in größeren Verwaltungen wie Schönefeld und Königs Wusterhausen bessere Entwicklungsmöglichkeiten.

Umso mehr muss man den Verwaltungs-, Hort- und Kitamitarbeitern danken, die in den vergangenen Jahren die bestehenden Lücken ausgeglichen haben. Das kann aber kein Dauerzustand sein.

Gibt es auch positive Botschaften aus Zeuthen?

Prof. Jonas Reif: Die gibt es zum Glück. Wir konnten in der letzten Hauptausschusssitzung den Pavillon am Siegertplatz an einen Gastronomen vergeben, der noch in diesem Sommer mit dem Betrieb starten möchte. Das ist sehr sportlich – drücken wir ihm die Daumen.

Pavillon am Siegertplatz (Foto: mwBild)

Pavillon am Siegertplatz (Foto: mwBild)

Möglich wurde dies durch einen Antrag der Grünen, der die Vergabe zu erleichterten Bedingungen vorsah. Eine erste Ausschreibung war im vergangenen Jahr erfolglos geblieben. Damals mangelte es zwar nicht an guten Ideen, aber niemand wollte oder konnte das wirtschaftliche Risiko eingehen. Ansonsten freuen wir uns über viele kleine Projekte, etwa die ersten Photovoltaikanlagen auf kommunalen Dächern, zusätzliche Elektroladesäulen, die diesmal sogar ohne gemeindliche Ausgaben möglich waren.

In den nächsten Monaten werden noch weitere Projekte realisiert, die von uns Grünen angeschoben wurden. Außerdem haben wir in den letzten zwei Jahren neues ehrenamtliches Engagement erlebt, dass allen Zeuthenern dient. Die wiederbelebte Nabu-Gruppe kümmert sich um den Erhalt der Natur und die Open Streets-Initiative um Marius Langas belebt mit regelmäßigen Veranstaltungen das Ortsleben.

Und dann gab es noch die Entscheidung zum Edeka-Markt, der Ihnen persönlich Kritik einbrachte.

Prof. Jonas Reif: Die Entscheidung zum Bau des großen Edeka-Marktes wurde bereits mit dem Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan 2021 mit klarer Mehrheit getroffen. Jetzt ging es darum, ein Vorentwurf zu billigen, der öffentlich ausgelegt wird und zu dem die Bürger und Behörden Stellung nehmen können. Ich habe mich deshalb in den vergangenen Monaten darauf konzentriert, die Umweltauswirkungen zu verringern. Der Investor hat Zugeständnisse gemacht. Die versiegelten Flächen wurden deutlich reduziert, die Verpflichtungen für Bepflanzungen und Schallschutz deutlich erhöht und die Gestaltung des Gebäudes an den Ort angepasst.

Der Punkt Zwei statt Drei Geschossigkeit wurde jedoch abgelehnt.

Prof. Jonas Reif: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits wäre ein zweigeschossiges Gebäude sicherlich vom Ortsbild – vor allem zur Rückseite – verträglicher gewesen. Andererseits bedeutet Drei Geschossigkeit auch, dass wir circa 15 Wohnungen ohne zusätzliche Versiegelung schaffen, die in Zeuthen dringend benötigt werden. Deshalb kann ich mit dem mehrheitlichen Votum der Gemeindevertretung auch gut leben.

6 Responses to Im Kreuzverhör: „Viele haben das Gefühl, dass sich zu wenig bewegt.“

  1. Tiefbau
    23. April 2023 at 14:41

    Lieber User Tiefbau. Ihr Kommentar wurde nicht veröffentlicht.Themenfremde Statements sind hier unerwünscht. Bitte halten Sie sich künftig an unsere Nutzungsbedingungen.

    Sabrina Rühle
    Redaktion

  2. Jonas Reif
    30. März 2023 at 12:44

    @Zeuthener: Nein. Ich würde nicht als Bürgermeister kandidieren (ich habe einen Job, der mir sehr viel Freude bereitet und in dem ich hoffentlich noch viel bewirken kann). Ich gehe davon aus, dass Herr Herzberger gute Chancen hat Landrat zu werden. Ich bin auch davon überzeugt – falls es so sein sollte -, dass es gute Kandidaten für das Bürgermeisteramt in Zeuthen geben wird.

  3. Zeuthener
    29. März 2023 at 11:33

    Was damals in Zeuthen gegen eine schwache Gegenkandidatin klappte, wird sich so in Lübben nicht wiederholen. Eine Frage Herr Reif für den Fall, dass Herr Herzberger es doch schafft. Würden Sie für eine Bürgermeister Kandidatur zur Verfügung stehen?

  4. Petra P.
    27. März 2023 at 12:25

    “Der Landkreis Dahme-Spreewald gehörte lange zu den prosperierenden Regionen Ostdeutschlands. Dieser Erfolg wurde erkauft, in dem man den Norden zunehmend zugebaut hat, ohne die Nachhaltigkeit zu hinterfragen – Stichwort Gewerbeparks. Die soziale und verkehrliche Infrastruktur ist dabei oftmals nicht mitgewachsen.”

    Und was machen die GRÜNEN in Schulzendorf? Sie machen den Weg frei für einen Gewerbepark auf den Flächen “Rosengarten” an der Ernst-Thälmann-Str.

  5. WLJ
    27. März 2023 at 11:01

    Wir können Herr Prof. Reif nicht verstehen. Fremdelt er mit den Bürgern und der Verwaltung ? Weiß er, was in der Wirtschaft los ist ?

    Der interessierte Bürger will ernst genommen werden und Antwort auf seine Nöte haben. Wenn die Verwaltung nicht dazu bereit ist, dann kann Herr Prof. Reif noch so viele gute Gedanken haben – es wird nichts nützen.

    Und aus der Wirtschaft wird keiner in die Verwaltung kommen, warum den auch. Es liegt nicht an der Bezahlung, es sind auch die Voraussetzungen. Gemeinde interessiert sich nicht für Wirtschaft- sie bekämpft sie. Auch dieser Hass hat Rücklösungerwartungen.

    Herr Prof. Reif bemüht sich Politik zu vermitteln – vielleicht wie Herr Gysi – nur in der falschen Partei halt eben und mit zu wenigen Ergebnissen, die Bürger versteht.

  6. Petra
    27. März 2023 at 10:15

    An diesem Interview sieht man mal den Unterschied zu den Grünen in Schulzendorf. In Schulzendorf wollen die Grünen den Ort zubetonieren und alles reglemnentieren. Respekt Herr Reif, für Ihr Engagement.

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