Exklusiv: Jonas Reif im Schulzendorfer-Kreuzverhör

26. Dezember 2020
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Seit Mitte 2019 stand Professor Jonas Reif (Bündnis 90/Die Grünen) an der Spitze des Gemeinderates in Zeuthen. Der Schulzendorfer traf ihn zum großen Kreuzverhör:

Herr Reif, zum 31.12. legen Sie den Vorsitz in der Gemeindevertretung Zeuthen nieder, warum?

Jonas Reif: Im Oktober 2019 wurde ich an die FH Erfurt berufen, eine Aufgabe, die mich sehr erfüllt und ausfüllt. Dennoch wollte ich mir etwas Zeit geben, um zu sehen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, Job, Familie und Gemeindevertretervorsitz irgendwie unter einen Hut zu bringen. Im Herbst 2020 haben sich nun mehr als doppelt so viele Studierende wie bisher in den Bachelor-Studiengang Landschaftsarchitektur eingeschrieben. Einerseits ist dies sehr erfreulich, andererseits bedeutet das für uns Lehrkräfte eine enorme Herausforderung. Spätestens jetzt musste ich einsehen, dass es so nicht weiter gehen kann.

(Bild: Gemeinde Zeuthen/kw tv)

(Bild: Gemeinde Zeuthen/kw tv)

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Wie fällt Ihre persönliche Bilanz in der Zeit aus?

Jonas Reif: Gemischt. Ich habe mit der Tätigkeit vor allem zwei Dinge verbunden. Zum einen wollte ich die Arbeit der Gemeindevertretung gegenüber den Bürgern transparenter und verständlicher machen. Ich glaube, dass dies – auch oder wegen Corona – besser gelungen ist als erwartet. Ich wollte zugleich zwischen den Fraktionen vermitteln und Prozesse und Entscheidungen vorantreiben – mir geht vieles zu langsam voran. Das hat weniger gut funktioniert.

Wie viel Zeit haben Sie wöchentlich in ihr Amt investiert?

Jonas Reif: Ich lege viel Wert auf Gespräche. Das kostet richtig Zeit. Es gab Wochen, wo selbst das Wort „Halbtagsjob“ noch untertrieben wäre. Zum Glück gab es auch Pausen.

Welche Themen in der Gemeindevertretung haben Sie besonders gefordert?

Jonas Reif: Die Schaffung zusätzlicher Grundschulkapazitäten war sicherlich das wichtigste Thema. Neben dem Standort müssen auch Finanzierung und Trägerschaft geklärt werden.

Die größte Herausforderung war jedoch der Umgang mit Corona in der Kommunalpolitik. Hier galt es die kommunalpolitische Handlungsfähigkeit zu erhalten, zugleich die Teilhabe-Rechte jedes einzelnen Gemeindevertreters zu wahren, einen größtmöglichen Infektionsschutz zu sichern und zugleich die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit zu garantieren.

Zusammen mit der Verwaltung und Medienprofis haben wir uns entschieden, mit Video- und Hybrid-Sitzungen Neuland zu betreten. Seitdem können Bürger die Gemeindevertretersitzung im Livestream verfolgen und im Nachhinein abrufen. Nimmt man die Abrufzahlen als Indiz, dann verfolgen deutlich mehr Personen denn je unsere Sitzungen.

Das Feedback aus der Bevölkerung war übrigens durchweg positiv. Trotz Corona gab es in diesem Jahr 12 Gemeindevertretersitzungen, je nach Infektionslage wechselte man zwischen Vollpräsenz, Teilpräsenz und fast ausschließlicher Videositzung. Mehr Arbeitsfähigkeit geht wohl kaum.

Nach meiner Kenntnis hat sich dabei niemand mit dem Corona-Virus angesteckt. Dies verdient ein großes Lob an alle Gemeindevertreter, Verwaltungsmitarbeiter und externen Unterstützer!

 Aus Reifs eigener Tasche für Zeuthen finanziert: 100 japanischen Schnurbäume. (Foto: mwBild

Aus Reifs eigener Tasche für Zeuthen finanziert: 100 japanischen Schnurbäume. (Foto: mwBild

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Abgeordnete haben die sachliche Arbeitsatmosphäre im Gremium gelobt. Gab es auch heikle Momente?

Jonas Reif: Einige. Zunächst gab es viele formelle Probleme mit den Video- und Hybrid-Sitzungen. Deshalb musste sogar kurzfristig eine Sitzung abgesagt werden. Trotz aufwendiger Technik kam es immer wieder zu kurzzeitigen Unterbrechungen, weil die Internetverbindung nicht ausreichte oder das Auszählen der Stimmen schwierig war. Auch in der letzten Sitzung traten diesbezüglich Probleme auf, die zu einem Fehler führte. Dafür möchte ich mich noch einmal bei der FDP-Fraktion entschuldigen.

Als Vorsitzender des Gemeinderates mussten Sie einerseits die Sitzungen neutral führen. Andererseits haben Sie politische Überzeugungen. War das in den zurückliegenden Monaten eine Gratwanderung?

Jonas Reif: Ja. Vor allem, wenn man mit Bürgern spricht. Wie ich erfahren musste, kann man dann noch so sehr darauf verweisen, dass es sich bei bestimmten Gesprächen um die Meinung des Gemeindevertreters Jonas Reif handelt und nicht um die des Vorsitzenden der Gemeindevertretung. Die Wahrnehmung sieht trotzdem bei manchen anders aus.

Die jüngste Debatte um den Standort einer zweiten Grundschule hat die Wogen hochschlagen lassen. Es gab Stimmen, wonach die Petition nicht die Anforderungen einer solchen erfüllt, dass es bei den Unterschriftslisten zu Mehrfachunterzeichnungen kam. Was sagen Sie dazu?

Jonas Reif: Bürger haben sich mit einem Anliegen an den Bürgermeister und die Gemeindevertretung gewandt. Aufgrund der konkret formulierten Bitte, nämlich die Rücknahme eines Beschlusses, hätte man dies als ein Bürgerbegehren verstehen können. Dieser muss aber formalen Kriterien genügen, die nicht erfüllt waren.

Als Petition betrachtet, „möglichst den Wald zu erhalten“, sehe ich darin kein Problem, da hier nur geringe formale Hürden bestehen. Hier ist es letztlich gleichgültig, ob einer Person unterschreibt oder 800. Man kann die hohe Anzahl der Unterschriften so werten, dass es vielen Bürgern wichtig ist, dass für die neue Schule kein Wald gefällt werden soll. So wurde übrigens auch die Standortsuche in der Gemeindevertretung beschlossen, ich erinnere an die Beschlußvorlage 3/2019: „Waldflächen sollen, soweit möglich, davon ausgenommen werden“.

Die Entscheidung zum Schulstandort ist demokratisch zustande gekommen. Möglicherweise wird sie zurückgenommen und ein anderer Standort beschlossen. Wenn sich gegen den später auch Widerstand regt, wird der Beschluss dann ebenfalls revidiert?

Jonas Reif: Auch gegen einen anderen Standort kann Widerstand entstehen oder geklagt werden. Dennoch scheint es mir hier unterschiedliche Risiken zu geben. Ein reine Waldfläche oder eine Schule in direkter Nachbarschaft zu Wohnbauten erhöhen sicherlich die Gefahr eines jahrelangen Rechtsstreits.

Sommer 2017: Besichtigung des möglichen Schulstandortes im "Zeuthener Winkel", v.l. Jonas Reif, Sven Herzberger, Jörg Jenoch, Andreas Körner (Foto: mwBild)

Sommer 2017: Besichtigung des möglichen Schulstandortes im “Zeuthener Winkel”, v.l. Jonas Reif, Sven Herzberger, Jörg Jenoch, Andreas Körner (Foto: mwBild)

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Wie kann man Ihrer Meinung nach die Wogen wieder glätten und die Situation für alle Seiten befrieden?

Jonas Reif: Derzeit bestehen drei Möglichkeiten, wie es weitergeht:

Erstens: Die Entscheidung bleibt so, wie sie ist. Neben der schon geäußerten Gefahr der Verzögerung, befürchte ich aber ein für lange Zeit gestörtes Verhältnis mit vielen Bürgern und innerhalb der Gemeindevertretung.

Zweitens: Die Kommunalverfassung verbietet einen direkten Bürgerentscheid zur Standortfrage. Eine Einwohnerbefragung mit den in der letzten Runde verbliebenen drei Standorten wäre allerdings möglich. An dessen Ergebnis könnten sich die Gemeindevertreter orientieren, hier besteht aber kein Zwang. Dies könnte zu einer breiteren Legitimierung der demokratischen Entscheidung führen. Auch wenn dies das Klagerisiko nicht zwingend mindert und eine weitere Zeitverzögerung bedeutet, halte ich eine Beteiligung aller Bürger bei dieser wichtigen Entscheidung für richtig und wichtig.

Drittens: Alle Gemeindevertreter bemühen sich um einen Kompromiss Standort. Derzeit scheint ein freier Träger, die Evangelische Schulstiftung, für die neue Schule immer wahrscheinlicher. Damit wäre die Bildung von Schulbezirken, die eine Wohnort-nähere Beschulung ermöglicht hätte, vom Tisch. Aus meiner Sicht wäre dann ein Standort westlich der Bahn kein Nachteil mehr. Aber auch östlich der Bahn gibt es noch immer zwei Optionen, wo man zumindest mit weniger Waldverlust eine Schule bauen könnte.

Ich persönlich würde mich freuen, wenn die Gemeindevertretung Variante zwei oder drei unterstützen würde.

7 Responses to Exklusiv: Jonas Reif im Schulzendorfer-Kreuzverhör

  1. Jörg
    28. Dezember 2020 at 09:09

    @ BingeLaden Sorry, so können Sie vielleicht mit Ihrer Freundlin herrumspringen – aber eine Verpflichtung für eine gesellschaftliche Aufgabe ist aus meiner Sicht etwas anderes !

    Und allein was Sie für Namen hier zum Vergleich heranziehen ! Hallo !

    Mit diesen Persönlichkeiten kann man Herrn Prof. nicht ansatzweise vergleichen, allein schon, dass er seinen Lebensunterhalt allein verdienen muss.

    Gemeindepolitik muß durch Verläßlichkeit gekennzeichnet sein, wer davon vorab zu redet und träumt, oder sich nur als Gott aufführen will – kann zwar Pfützenpoltik , hat aber den Willen der Bürger nicht verstanden.

    Ein Aufgabe ist ein Scheitern- auch an sich selbst. Punkt.

    Herr Prof. Reif alles Gute !

  2. BingeLaden
    27. Dezember 2020 at 15:01

    Ein Mandat abzulehnen oder niederzulegen ist kein Makel und kein Verstoß gegen das Recht. Vertreter aller Partei haben das in der Vergangenheit schon getan. Zuletzt Dr. Herbert Burmeister, aber auch namhafte Politiker, beisspielhaft Frau Fischer, taten das. Mit Respektlosigkeit gegenüber den Wählern hat das m.E. nun wirklich nichts zu tun, eher damit, dass es manchmal doch anders kommt, als man denkt. Und das ist einfach nur menschlich.

  3. Insider
    27. Dezember 2020 at 12:04

    Die Begründung ist wirklich mager. Aber ist doch normal bei Reif. 2014 wurde er in den Kreistag gewählt, hat sein Mandat aber nicht angenommen. 2019 wurde er erneut in den Kreistag gewählt und hat nach nur 2 Monaten das Mandat wieder niedergelegt. Im Juni 2019 wurde er zum Vorsitzenden der GV Zeuthen gewählt und tritt auch dort jetzt zurück. Das ist kein Respekt gegenüber dem Wähler. Daran sieht man, wie ernst er den Wählerwillen nimmt!

  4. Eichberger
    27. Dezember 2020 at 10:57

    @Jörg kann man so sehen, ich sehe es etwas anders. Job und Ehrenamt vertragen sich nicht immer. Zustimmen würde ich Ihrer Einschätzung zu Stimme und Gesicht. Ums deutlich zu sagen, Herr Kolberg (Vorsitzender der Gemeindevertretung Schulzendorf) maßregelt Bürger, führt sich als Allwissender auf, will immer in der erste Reihe stehen, hinter 90 % seiner Aktivitäten steckt der blanke Populismus, hängt seine Fahne in den Wind. Und beim Thema Einsatzzeiten der Feuerwehr hat er meiner Meinung nach total versagt.

  5. Jörg
    27. Dezember 2020 at 09:15

    Aufgeben und abgeben, ist wie scheitern. Die Begründung für die Rückzug ist mager.

    Reif hat eine Stimme und ein Gesicht, was man von anderen Politikern und Vorsitzenden in der Gegend nicht behaupten kann. Trotzdem ist die Abgangsbegründung das Eingestehenen einer Fehlplanung und läßt leider den Schluß zu, dass Arbeit und Gemeindearbeit nur etwas für Rentner ist.

  6. Zeuthener
    26. Dezember 2020 at 17:01

    Reif hat seine Sache gut gemacht.

  7. Petra
    26. Dezember 2020 at 12:26

    Ist das ein Politiker mit Format oder ist das ein Politiker mit Format?

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