Leserbeitrag: “Am Wiener Flughafen ticken die Uhren anders!”

19. November 2010
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Anfang November flogen Mitglieder des Dialogforums BBI, darunter auch der Schulzendorfer Bürgermeister Mücke und ich, als Leiter der Arbeitsgruppe 2 des Dialogforums BBI, zum Erfahrungsaustausch nach Wien. Gesprächspartner waren Mitglieder des dortigen Dialogforums und der Umlandbeauftragte des Flughafens.

Sehr schnell stellten wir fest: Am Wiener Flughafen ticken die Uhren anders.

In Wien/Schwechat läuft seit dem Jahre 2000  die Umweltverträglichkeitsprüfung für eine dritte Start- und Landebahn. Sie ist etwa gleichzusetzen mit dem Planfeststellungsverfahren für Schönefeld. Der Flughafen stellte seine Überlegungen auch im Umfeld vor. Er warb – wie in Schönefeld – mit neuen Arbeitsplätzen. Doch dieses Argument wurde nicht angenommen. Mehr bewegte die Menschen das Problem des zusätzlichen Lärms.

Da gaben die politisch verantwortlichen Landeshauptmänner von Wien und Niederösterreich die Losung an die Flughafen Wien AG – in der die Länder mit je 20 % Gesellschafter sind – aus: macht, was ihr wollt, aber wir wollen politisch unsere Ruhe. Auch die privaten Eigner (50 % Anteile) wünschten ein gutes Einvernehmen mit dem Umland. So entschloss man sich zu einem Mediationsverfahren mit den Bürgermeistern der Umlandgemeinden und Bürgerinitiativen. Die Bedingung dafür, dass sich die Betroffenen darauf einließen war, dass auch über den Fluglärm des bestehenden Systems gesprochen wird. Konkret hieß das: Der Lärm muss begrenzt werden. Dem Flughafen war klar, er muss Abstriche beim Nachtflug machen, aber er bekommt dafür eine dritte Piste. Die Betroffenen sahen es genau so, sie akzeptieren eine dritte Piste, haben aber Einfluss darauf, wohin sie gelegt wird und können darauf einwirken, dass weniger Lärm erzeugt wird.

Das Mediationsverfahren wurde vom Flughafen bezahlt. Es kostete insgesamt 15 Mio. €. Die Mediatoren wurden durch die Bürgermeister und Bürgerinitiativen bestimmt. Für sie wurde auch ein Anwalt bestellt, dessen Bezahlung der Flughafen übernahm. Der Anwalt ist dem Flughafen gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Das Mediationsverfahren gipfelte 2005 in der Gründung des dialogforums flughafen wien.

Im Dialogforum gibt es auch eine Arbeitsgruppe Flugrouten. War es bis dahin allein Angelegenheit der Flugsicherung die Routen festzulegen – eine Fluglärmkommission gibt es in Österreich nicht – wurden sie nun mit dem Umland abgestimmt. Letztlich haben sich die vier am stärksten betroffenen Gemeinden an einen Tisch gesetzt und die Lage der Start- und Landebahn festgesetzt. Sie haben auf einer Karte die Bahn geschoben und die Flugsicherung hat ihnen erklärt, welche Auswirkungen sich daraus ergeben. Das heißt, sie wussten, welcher Lärm bei welcher Lage wo entsteht. So konnten sie sich am Ende auf die verträglichste Variante verständigen.

Eine Einigung gab es auch dazu, dass die 3. Piste von 22.30 bis 07.00 Uhr nicht benutzt wird.

In Wien gehen die Betreiber davon aus, dass die Interessen des Umlandes nicht langfristig im Widerspruch zu den Interessen des Flughafens stehen. Kurzfristig nahm man dafür 60 Mio. € zusätzliche Kosten auf sich.

Auch das Dialogforum wird vom Flughafen finanziert. Die Kosten liegen bei 600.000 €/Jahr. Jeder Teilnehmer des Dialogforums kann Vorschläge einbringen. Über Bezirkskonferenzen und die Stadtkonferenz Wien sind am Ende 130 Gemeinden, damit 2 Mio. Menschen – ein Viertel der österreichischen Bevölkerung – in die Diskussionen einbezogen.

Die Kosten werden durch einen Aufschlag von 1,12 € auf die Passagiergebühr ausgeglichen. In einen Umweltfonds werden 0,20 € pro Passagier am Tage und 0,60 € pro Passagier in der Nacht erhoben. 37,5 % dieses Fonds werden für unvermeidbare Belastungen an die Gemeinden gezahlt (es wird genau nach dB gerechnet), 37,5 % für betroffene Gemeinden und 25 % für gemeinnützige Projekte die nicht gemeindebezogen sind. Diese Entschädigungsvariante ist als Wiener Modell bekannt.

Vergleichswert für die Lärmabgabe ist das Jahr 2004. Steigt der Lärmpegel, erhöht sich die Abgabe.

Auch die passiven Schallschutzmaßnahmen sind eindeutig geregelt. Bei mehr als 54 dB (A) am Tag und über 45 dB(A) in der Nacht wird Lärmschutz gewährt. Zwischen 54 und 57 dB(A) werden 50 % der Kosten für Schallschutzfenster übernommen, darüber 100 %. In Wien gibt es keine Außenbereichsentschädigung (bei uns 4 T€), sondern eine Wintergartenförderung bis zu einer Höhe von 20 T€.

Nicht das es in Wien ohne Probleme und Widersprüche abging und -geht. Nicht alle Bürgerinitiativen haben sich am Dialog beteiligt, weil sie auf eine Ablehnung der 3. Bahn im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren hoffen. Nicht alle Vereinbarungen im Dialogforum sind bis zum letzten Punkt bereits erfüllt. Auch beim Flughafen gab es Fragen, warum man den „Gegner” auch noch mit Geld unterstützt – 10 % Anteil an der Aktiengesellschaft haben die Mitarbeiter. Doch am Ende gab und gibt es ein Miteinander zum Nutzen beider Seiten.

Wie anders doch bei uns. Hier lautet das Motto der politisch Verantwortlichen bisher: Bloß keine Zugeständnisse, wir reagieren nur, wenn uns Gerichte dazu zwingen.

Auch jetzt ist man nicht bereit, freiwillig auf Nachtflug von 22.00 bis 06.00 Uhr zu verzichten, sondern setzt auf einen „Sieg” vor dem Bundesverwaltungsgericht. Informationen werden bruchstückhaft preisgegeben oder wenn möglich, sogar zurückgehalten.

Ein Vertrauensverhältnis oder sogar ein vernünftiges Miteinander von Flughafen und Umland lässt sich so jedenfalls nicht herstellen. Noch ist es nicht zu spät zur Einsicht zu gelangen. Platzeck, Wowereit und Ramsauer sollten unbedingt nach Wien fliegen! (von Dr. Herbert Burmeister)

(Fotos: Wolff)

3 Responses to Leserbeitrag: “Am Wiener Flughafen ticken die Uhren anders!”

  1. Dr. Herbert Burmeister
    24. November 2010 at 11:42

    Nein, lieber Maurer,
    wir haben auch mit den Vertretern der Bürgerinitiativen gesprochen. Sie waren den ganzen Tag dabei. Bei einem Aufeinanderzugehen ist eben ein wirklicher Dialog möglich. Natürlich setzt er Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten voraus.

  2. Maurer
    22. November 2010 at 12:36

    Offensichtlich haben Sie nur mit den Flughafenbetreibern gesprochen. Das Dialogforum ist vom Flughafen bezahlt und setzt nur dessen Interessen durch.
    Die Bürgerinitiativen werden ignoriert, belogen und seitens der Regierung im Kreis geschickt. Trotz möglichen menschenschonenderen Flugrouten, wird quer über Wien gestartet und gelandet.

  3. Red Bull
    19. November 2010 at 18:50

    So kann es also auch gehen, bei einem Flughafenanbau!. Ich wünsche mir, dass unsere Politiker auch so mit diesem Thema umgehen würden. Vielleicht müssen sie wirklich erst nach Wien reisen, so wie es der Autor des Beitrages vorschlug, um endlich aufzuwachen. Herr Platzeck ist für das Wohl der Brandenburger verantwortlich. In Sachen BBI kann er sich doch nunmal beweisen.

    Herr Mücke nahm ja auch an diesem Treffen teil. Ich frage mich allerdings, warum von Seiten der Gemeinde bezüglich dieses Erfahrungsaustausches Funkstille herrscht?

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