Airport Willy Brandt: Viele Fluglärmbetroffene werden zur Eröffnung völlig nackt da stehen!

20. Januar 2012
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Der unzureichende Schallschutz ist die Achillesferse der Flughafengesellschaft!

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck versicherte im August 2009, dass  seine Landesregierung alles tun wird, um „die Belastungen durch die für die wirtschaftliche Entwicklung der Gesamtregion  und für den Aufbau von Arbeitsplätzen unabweisbare  Infrastrukturmaßnahme so gering wie möglich zu halten. Auch aus diesem Grunde wird der Flughafen BBI hinsichtlich seiner lärmrelevanten Grenzwerte und seiner  allgemeinen Verkehrsregelungen zu den umwelt- und sozialverträglichsten in Europa gehören.“ Wenige Monate vor Eröffnung des Flughafens Willy Brandt zeigt sich in Sachen Schallschutzmaßnahmen allerdings ein düsteres Bild.

Bürgerdialog: Die Mitglieder der Initiative BBI 21 debattieren mit Abgeordneten des Brandenburger Landtages und dem Berliner Abgeordnetenhaus über den künftigen Hauptsadtflughafen. Von Links: Christine Dorn, Eckhard Bock und Prof. Geske. (Foto: Wolff)

Im Dezember 2011 hatte die Brandenburger Landesregierung offenbart, dass erst 754 von insgesamt 25.500 vom Fluglärm betroffene Haushalte um den künftigen Hauptstadtflughafen geschützt sind.  Und das, obwohl das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im September 2011 gefordert hatte, dass bis zur Inbetriebnahme des Airports sogar bei den Schutzgebieten, die durch neue Flugrouten entstehen, ein ausreichender Schallschutz vor der Inbetriebnahme sicherzustellen ist.

Der Flughafenrebell und fraktionslose Brandenburger Landtagsabgeordnete Christoph Schulze fordert von Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck endlich ein Machtwort in Sachen Schallschutz. (Foto: Wolff)

Noch brisanter ist die Tatsache, dass die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahre 2004 aufweichen möchte. In ihm heißt es zu den Schallschutzmaßnahmen tagsüber: „Die Vorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch die An- und Abflüge am Flughafen im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern keine höheren A-bewerteten Maximalpegel als 55 dB(A) auftreten.“

Dass ein  Rechtsstaat  von der Akzeptanz seiner Entscheidungen lebt ist der FBB offenbar untergegangen. Denn sie hat die eindeutige Festlegung im Planfeststellungsbeschluss für sich umgedeutet. In ihren Schallschutzberechnungen geht die FBB davon aus, dass pro Tag der Maximalpegel von 55 dB (A) sechsmal überschritten wird. In ihrer Hilfsargumentation verweist sie einerseits auf andere deutsche Großflughäfen, an denen ebenfalls sechs Überschreitungen des Maximalpegels möglich sind. Andererseits führt die Flughafengesellschaft an, dass am künftigen Hauptstadtflughafen nachts auch sechs Pegelüberschreitungen zulässig sind.

Die uminterpretierte Berechnungsgrundlage hat in der Praxis zur Folge, dass Betroffene  in den besonders stark belasteten Gebieten im unmittelbaren Bereich der Start- und Landebahnen, wie in Mahlow /Blankenfelde, Schulzendorf oder Berlin –  Bohnsdorf  Schallschutzfenster geringerer Klassen oder gar keine bekommen. In einigen Bohnsdorfer Wohnungen, die direkt in der Einflugschneise liegen werden teilweise nur Lüfter eingebaut. Für die Bewohner ist das alles andere als sozial verträglich, denn sie fürchten um ihren Schlaf.

Der Schöpfer der Hoffmann - Kurve, Marcel A. Hoffmann im Dialog mit der Vorsitzenden des Ausschusses für Infrastruktur und Landwirtschaft im Brandenburger Landtag, Kornelia Wehlan (die Linke). (Foto: Wolff)

Im Mai 2011 drangen die Berechnungsgrundlagen der FBB an die Öffentlichkeit. Nicht gerade postwendend reagierte die Oberste Planfeststellungsbehörde, das Brandenburger Ministerium  für Infrastruktur und Landwirtschaft (MIL). Am 6. Dezember schrieb es an die Flughafengesellschaft und machte ihr ein Zugeständnis: „…es ist sicherzustellen, dass in den sechs verkehrsreichsten Monaten durchschnittlich weniger als einmal pro Tag ein Maximalpegel von 55 dB (A) im Rauminnern auftritt.“

Auf der Sondersitzung des Verkehrsausschusses des Brandenburger Landtages am letzten Dienstag offenbarten die Flughafenbetreiber, dass wenn die Planfeststellungsbehörde bei ihrer Auslegung bliebe, 5.000 bis 6.000 Wohneinheiten technisch nicht mit Schallschutzmaßnahmen ausgerüstet werden können.

Wolfram Pries (li.) von den Piraten des Berliner Abgeordnetenhauses und Thomas Seidel (re.) von der Staatskanzlei Brandenburg verfolgen die Debatte. (Foto: Wolff)

Nun will die FBB einen „Klarstellungsantrag“ einreichen. Entweder kommt es zu einer Änderung des Planfeststellungsbeschlusses, so wie es die FBB anstrebt oder aber das MIL bleibt bei seiner Haltung und zwingt die Flughafenbetreiber das Schutzziel von einer Überschreitung des Maximalpegels umzusetzen. „Wir rechnen bei beiden Optionen mit einer Klage.“, erklärte Thomas Seidel von der Brandenburger Staatskanzlei.

Eine „Klarstellung“ oder besser eine Änderung des Planergänzungsbeschlusses dürfte dabei gerade bei den Betroffenen für neuen Zündstoff sorgen. „Wenn in diesem Punkt von der Flughafengesellschaft ein Antrag zur Änderung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt wird, dann machen wir ein Fass auf.“  kündigte Marcel A. Hoffmann  von der Initiative BBI 21 an.

Die brandenburgische CDU – Chefin Saskia Ludwig forderte jüngst die Einführung einer Lärmrente für diejenigen  Betroffenen, die mit Inbetriebnahme des Flughafens keine Schallschutzmaßnahmen erhalten haben. Doch das ist für die FBB keine Option. „Lärmrenten sind, anders als bei der Inbetriebnahme des Münchner Flughafens kein Thema.“, erklärte Leif Erichsen, Pressesprecher bei der Flughafengesellschaft.  „Wir werden keine  Diskussion um die Lärmrente zurückweisen.“, erklärt dagegen Thomas Seidel.

Dr. Dieter Schallehn von der Schulzendorfer Interessensgemeinschaft gegen Fluglärm ist erschüttert vom Stand des Lärmschutzes wenige Monate vor Eröffnung des Flughafens Willy Brandt. (Foto:Wolff)

Über den Stand  der Schallschutzmaßnahmen diskutierten jüngst Vertreter der Initiative BBI 21 mit Abgeordneten des Brandenburger Landtages und des Berlin Abgeordnetenhauses.
Eckhard Bock, Sprecher des Bürgerdialog BBI 21 zog dabei eine ernüchternde Bilanz. „Alle Kostenerstattungsvereinbarungen (KEV)  sind fehlerhaft, weil das Schutzniveau, keine Überschreitung des Maximalpegels von 55 db im Rauminneren am Tag, nicht eingehalten wurde. Sechs Monate vor Eröffnung des Flughafens ist das organisierte Verantwortungslosigkeit gegenüber den lärmbetroffenen Bewohnern.“, so Bock.

Die Initiative BBI 21 hat Dutzende KEV von Experten nachrechnen lassen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Auf Grund der umgedeuteten Berechnungsgrundlagen kommt die FBB auf Werte, die rund 8 bis 11 dB (A) schlechter sind, als im Planfeststellungsbeschluss festgelegt ist. Möglicherweise müssen viele der bisher realisierten 754 Schallschutzmaßnahmen nachgebessert werden.

Brandenburger Landtagsabgeordnete stehen Rede und Antwort: Michael Jungclaus (Bündnis 90/Die Grüne), Martina Gregor - Ness (SPD), Rainer Genilke (CDU). - Foto: Wolff

Für die Brandenburger Landtagsabgeordnete Kornelia Wehlan (Die Linke) steht der Schutz der Menschen im Vordergrund. „Es war falsch in einem so dicht besiedelten Gebiet, wie in diesem Metropolenraum um Berlin, solch einen gigantischen Flughafen zu bauen.  Wir haben heute mit diesen Problemen zu kämpfen.  Wenn es diesen falschen Standort schon gibt, dann müssen wenigstens die Anwohner mit dem höchsten Schutz  versehen werden.“, forderte  die Vorsitzende des  Ausschusses für Infrastruktur und Landwirtschaft.

Der fraktionslose Landtagsabgeordnete Christian Schulze verlangt von Ministerpräsident Matthias Platzeck ein „Machtwort“ im „Schallschutzpoker der Flughafengesellschaft“, schließlich ist das Land Brandenburg Gesellschafter der FBB.

Kann der Flughafen Willy Brandt am 3. Juni 2012 seine Luft Tore angesichts dieser Fakten und ohne ausreichenden Schallschutz überhaupt öffnen?
Die FBB setzt die Betriebserlaubnis auf das Spiel, so soll nach unbestätigten Berichten die Einschätzung von Rechtsanwalt Dr. Gronefeld lauten, der die Flughafengesellschaft rechtlich vertritt. Formaljuristisch gesehen darf der Flughafen ohne hinreichenden Schallschutz nicht eröffnen, schließlich wäre das eine Gefährdung der Gesundheit. Doch findet sich ein Richter, der ein derart politisch und wirtschaftlich schwergewichtiges Infrastrukturprojekts wegen unzureichendem Lärmschutz auf das Eis legt? Eine Betriebsgenehmigung mit Auflagen ist eher denkbar. So könnte der genehmigte Nachtflug ausgesetzt werden bis tatsächlich der erforderliche Schallschutz für die Betroffenen umgesetzt ist.

Die Zeit wird zeigen ob die Flughafengesellschaft an ihrer einzig verwundbaren Stelle getroffen wird oder nicht!


One Response to Airport Willy Brandt: Viele Fluglärmbetroffene werden zur Eröffnung völlig nackt da stehen!

  1. Eckhard Bock
    21. Januar 2012 at 10:18

    Herzlichen Dank für einen sehr guten Artikel mit sehr aufschlussreichen Bildern.

    mit freundlichen Grüßen

    Eckhard Bock

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