EXKLUSIV: SPUTNIK – Redakteur Hans-Georg Schnaak im Interview

4. Januar 2017
Von

Sabrina Rühle

Es ist ein Thema, das viele Menschen mit großer Sorge betrachten. Das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland ist so schlecht, wie seit Jahren nicht. Mit einer Flut von Veröffentlichungen geben deutsche Medien Russland Nachhilfeunterricht im Politikunterricht. Vor Putins Propagandamaschine wird gewarnt, Russland hätte die Wahlen in den USA manipuliert, nun wolle man auch die in Deutschland beeinflussen.

NATO Osterweiterung – Ukraine – Syrien – Russlands Propaganda Attacken gegen den Westen – Wahlmanipulationen – Nemzow, sind einige Stichworte, worüber Sabrina Rühle mit Hans-Georg SCHNAAK, der seit 20 Jahren als Redakteur der Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya bei Sputnik arbeitet, redet.

HEUTE: Teil 1 

Herr Schnaak, 2001 besuchte Wladimir Putin Deutschland, er sprach unter Beifall im Bundestag vor Abgeordneten in deutscher Sprache. Das war eine Zeit, in der in Deutschland Russlandfreundlichkeit herrschte. 15 Jahre später sehen Politiker und Medien in Putin einen Schurken, der für viele Übel in der Welt und seinem Land verantwortlich ist. Welche Gründe sehen Sie für diesen Wandel?

2001 war Putin gerade erst als Präsident gewählt worden, und er wurde ja als Zögling von Jelzin betrachtet, der während seiner Präsidentschaft viele Interessen Russlands, teilweise fast liebedienernd vor dem Westen, preisgegeben hatte. Und plötzlich zeigte dieser Putin, dass er Charakter hat, dass er in der internationalen Politik nicht nur die Interessen des Westens, sondern auch die Russlands geachtet sehen wollte. Und er brachte es fertig, Russland ab 2004 wieder aus den für das Land verheerenden Production Sharing Agreements (PSA), sogenannte Produktteilungsverträge, mit westlichen Förderunternehmen zu bringen.

Sputnik Redakteur Hans-Georg Schnaak. Im Hintergrund der Sitz von Rossija Sewodnja am Subowski-Boulevard.

Sputnik Redakteur Hans-Georg Schnaak. Im Hintergrund der Sitz von Rossija Sewodnja am Subowski-Boulevard.

Worum ging es da genau?

Laut diesen Verträgen, die Jelzin stolz als eine seiner „Errungenschaften“ verkündete, wurden die Förderunternehmen für ihre Arbeit mit geförderten Bodenschätzen, hauptsächlich Erdöl und Erdgas, bezahlt. Und diese westlichen Unternehmen ließen sich derart teuer bezahlen, dass bei der sogenannten Produktteilung nichts mehr für den russischen Staat übrigblieb. Mit diesen Verträgen, die im Grunde eine gewaltige Enteignung waren, flossen Tausende Milliarden Dollar an Russlands Staatshaushalt vorbei ins westliche Ausland. Damit sollte Russland auch am Wiederaufbau gehindert werden, um weiterhin die eigenen Interessen des Westens zu wahren.

Putin ging sofort gegen die PSA an, da er begriff, dass Russland damit unter westlichem Diktat weiter geschwächt würde. Erst 2004 gelang es ihm, dass das Geld für die geförderten Bodenschätze wieder dem russischen Staat zufloss. Der Staatshaushalt vervierfachte sich mit einem Schlag, die Löhne, Renten und Sozialausgaben stiegen auf das Dreifache und dem Volk ging es plötzlich viel besser. Und damit war er für den Westen zu einem Feind geworden.

Ich könnte hier noch viele Beispiele anführen, aber kurzum: Zu einem schwachen Russland kann man freundlich sein, aber ein selbstbewusstes Russland, das sich den aggressiven Interessen des Westens entgegenstellt, bringt diesen in Rage, und das trägt er ganz aktuell bis in den Sport hinein.

Keine NATO Osterweiterung, dafür Deutsche Einheit – so lautete einst der Deal zwischen Kohl und Gorbatschow. Tatsache ist, dass deutsche Truppen mit Tornados in Estland stehen, nur wenige Kilometer von dem russischen Territorium entfernt. Historiker sehen darin den Ursprung des heutigen Konflikts zwischen EU und Russland. Teilen Sie diese Sicht?

Ich habe bereits einige „Ursprünge“ des Konfliktes genannt. Die Osterweiterung der NATO ist nur ein Teil davon. Unter anderem gehört auch das Raketenabwehrsystem der USA dazu, dass mit der Stationierung von Teilen davon in Polen auch schon an die Grenze Russlands herangerückt ist. Es ist auch kein Geheimnis, dass die NATO mit der Krim als Flottenstützpunkt geliebäugelt hat.

Nun heißt es, die baltischen Staaten fühlen sich von Russland bedroht. Sind die Befürchtungen aus Ihrer Sicht berechtigt?

Die baltischen Staaten stellen für Russland, das überhaupt nicht daran interessiert ist, irgendwo militärische Konflikte zu beginnen, keinerlei strategische Bedeutung dar. Sie gehören zu den ärmsten Ländern Europas. Diese Befürchtungen sind absolut lächerlich und deren Propagierung hat wohl eher das Ziel, über die NATO Gelder aus dem Westen zu bekommen und das Heranrücken der NATO an die russische Grenze zu rechtfertigen.

Ein Foto aus besseren Zeiten der deutsch - russischen Beziehungen: Vladimir Putin trifft im Spetember 2005 bei seinem Besuch in Berlin den damaligen Bundeskanzler Gerhard SchröderFoto: imago/ITAR-TASS

Ein Foto aus besseren Zeiten der deutsch – russischen Beziehungen: Vladimir Putin trifft im Spetember 2005 bei seinem Besuch in Berlin den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Foto: imago/ITAR-TASS

In den deutschen Medien wird eine Debatte über das richtige Verhältnis zu Russland und Putin ausgetragen. Die Aufregung vieler deutscher Journalisten zu Putins Vorgehen in der Ukraine, Syrien und im eigenen Land gegen Oppositionelle ist groß. In Russland gebe es keine Demokratie; die Meinungsfreiheit werde unterdrückt, eine arglistige Energiepolitik durchgesetzt; die Machthaber drifteten immer weiter in Diktatur ab. Wie schätzen Sie die Objektivität der deutschen Medien ein?

Was die so genannte Objektivität der deutschen Medien betrifft, so möchte ich vorausschicken, dass die großen deutschen Medien sehr eng mit den großen US-amerikanischen Medien verflochten sind. Das dürfte auch in Deutschland kein Geheimnis mehr sein. Sie erhalten am ehesten von dort ihre Vorgaben in wessen Interesse sie zu berichten haben. Ebenso wie die Bundesregierung Aufträge aus Washington bekommt, siehe beispielsweise die Sanktionen gegen Russland.

Mit anderen Worten, die Weichen bei den Medien sind auf Aggression gegen Russland mit allen verfügbaren Mitteln, wie das Verschweigen von Nachrichten bis hin zu Entstellungen und offenen Lügen, gestellt. Das ist genau das, was der Westen russischen Medien wie RT und Sputnik unterstellt, da deren Aufdeckung der Wahrheit unangenehm ist, äußerst unangenehm, so unangenehm, dass sogar das Europäische Parlament in einer Resolution diese Nachrichtenagenturen als „ebenso gefährlich wie die Terrororganisation Islamischer Staat“ eingestuft hat.

Stichwort Ukraine, wie bewerten Sie Putins Vorgehen im Nachbarland? 

Putin geht in der Ukraine nicht vor, sondern sieht von außen mit Besorgnis, was in der Ukraine vorgeht. Er versucht nicht, dem nach einem Putsch an die Macht gekommenen Präsidenten Poroschenko zu stürzen, wie das die USA mit ihnen nicht genehmen Staatschefs zu tun pflegen. Er verhandelt mit Poroschenko zur Schadensbegrenzung beispielsweise in der Ostukraine. Dass dabei nicht viel herauskommt, weil die Ukraine keine Schadensbegrenzung will, was an der Nichteinhaltung der Minsker Vereinbarungen deutlich wird, ist eine andere Sache.

Wird die Ostukraine von russischen Truppen kontrolliert?

Die Behauptung, dass Russland in der Ostukraine militärisch aktiv ist oder diese gar besetzt habe, hört man immer wieder. Auch hier konnte nie etwas bewiesen werden. Wenn dem tatsächlich so wäre, müssten die russischen Kräfte dort unsichtbar sein, denn bei den heutigen Aufklärungsmitteln können sich große militärische Kräfte auf einem bestimmten Territorium nicht einfach so verstecken.

Übrigens hat der russische Außenminister Sergej Lawrow unlängst darauf verwiesen, dass es in der EU schriftliche Anweisungen darüber gibt, wie jedes Mitgliedsland sich öffentlich bei jeder Erwähnung der Russischen Föderation äußern muss. Dabei gehe es um bestimmte Ausdrücke, erläuterte er: „Dort steht, dass alle diese Länder absolut verpflichtet sind, die Begriffe ‚Annexion der Krim‘, ‚Besatzung des Donbass‘ und ähnliche wie eine Mantra zu sprechen. Wenn man zusieht und liest, wie die EU-Mitgliedstaaten sprechen, scheint es, dass diese Anweisung verpflichtend ist.“

Russlands Militär kämpft in Syrien an der Seite von Assad, im Land sind viele Zivilisten den Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen. Deutsche Medien berichten über Angriffe der russischen Luftwaffe auf Zivilobjekte. Wie bewerten Sie diese Meldungen?    

Was das Vorgehen in Syrien betrifft, so handelt die russische Luftwaffe dort bei der Bekämpfung der für die ganze Welt gefährlichen Terroristen völlig legitim. Nämlich auf Bitte der syrischen Regierung. Im Gegensatz zu den USA und deren Verbündeten, die niemand – oder vielleicht die Terroristen? – dorthin eingeladen hat.

Es gibt eine Reihe schon nachgewiesener Lügenmärchen westlicher Medien über durch russische Fliegerkräfte angeblich zerstörte Krankenhäuser. Bis heute hat es nie einen ernstzunehmenden Nachweis dafür gegeben. Da wurden Fake-Fotos von zerstörten Krankenhäusern oder anderen Zivileinrichtungen gezeigt, die heute noch unversehrt stehen.

Über „versehentliche“ Angriffe von US-Flugzeugen auf die syrische Armee und gegen Zivilisten, auch im Irak und in Afghanistan, darüber ist in deutschen Medien wenig zu lesen.

Gerade im Zusammenhang mit der Lieferung von Gas nach Westeuropa wird Russland immer wieder vorgeworfen, eine arglistige Energiepolitik zu betreiben. Müssen wir befürchten, dass uns Putin den Gashahn zudreht?

Eine arglistige Energiepolitik? Worin soll die bestehen? Hat Russland jemals seine Erdgas- oder Erdöllieferungen als Druckmittel gegen ein anderes Land benutzt? Das einzige Problem bei Gaslieferungen nach Europa hatte die Ukraine verursacht, als sie 2009 für Europa bestimmtes Gas in Größenordnungen für sich abgezweigt hatte, nachdem Russland die Gaslieferungen für die Ukraine wegen unbezahlter Gasrechnungen in Milliardenhöhe ausgesetzt hatte.

Die Ukraine hat versucht, Russland mit dem Gastransit über ihr Territorium zu erpressen. Dass Russland bemüht ist, sich von einem solchen unberechenbaren „Partner“ unabhängig zu machen, ist in Geschäftsbeziehungen ja wohl nur zu natürlich. Die Ukraine hat noch immer Milliarden US-Dollar Gasschulden bei Russland und ist nicht gewillt, diese zu begleichen.

(Teil 2 folgt am Freitag)

11 Responses to EXKLUSIV: SPUTNIK – Redakteur Hans-Georg Schnaak im Interview

  1. Henrik Bengner
    1. November 2017 at 10:48

    Ich kann mich nur den o.a. Statements anschließen. Völlig richtig und absolut vorurteilsfrei stell Hans-Georg die Situation in und um Russland dar. Er sollte damit im Deutschen Bundestag auftreten, damit den ewigen Russlandfeinden und Scharfmachern der so genannten “Union” der Wind aus den Segeln genommen werden kann und wieder ein gemäßigtes Klima zwischen unseren Staaten einzieht. Der Hass auf die Russen (“Hilfe, die Russen kommen!” ist der Pastorentochter deutlich anzumerken, dabei sollte gerade sie sich um Aussöhnung mit dem russischen Volk bemühen. Überall verkündet sie die historische Schuld der Deutschen aus zwei Weltkriegen an den Juden, Sinti und Roma, aber wo bleibt der Kniefall vor den unendlich vielen russischen Opfern? Wo bleibt der aufrichtige Dank an die Befreier vom Deutschen Faschismus. Al das wird im Sinne der USA totgeschwiegen. Ihre Politik wird durch die unerträgliche Amerika-Hörigkeit bestimmt, das kann keine Basis für gerechte Außenpolitik sein.

  2. Walli
    5. Januar 2017 at 23:47

    Ich finde es sehr gut, aber auch überraschend, dass ein Interview mit einem Mann dieses Formats hier im Schulzendorfer veröffentlicht wird. Man kan sicherlich über die eine oder andere Aussage streiten, dennoch toll, wie sich der Sputnik darstellt.

  3. Peter Siegert
    5. Januar 2017 at 21:37

    Die Politik Deutschlands und der NATO gegenüber Russland ist ein Desaster. Frau Merkel hat daran einen enormen Anteil.

  4. Helwi
    5. Januar 2017 at 20:22

    In keinem unserer Medien der Region erfährt man mal die Sicht der Russen. Hier ja, streitbar, aber total mutig.100% Zustimmung meinerseits zu den Lügenmärchen des Westens zu Syrien.

  5. Maksimilian Stefani
    5. Januar 2017 at 19:21

    @ Mückenplage

    Ich stimme Ihrer Einschätzung zu! Gefallen hat mir auch das entschiedene Nachfassen der Interviewerin nach den Antworten von Hans-Georg Schnaak.
    Auf die Fortsetzung freue ich mich auch.

  6. dobida
    5. Januar 2017 at 09:41

    Danke für dieses Interview!!

  7. Patrick Helmer
    4. Januar 2017 at 18:32

    Vertreter großer deutscher Industrieunternehmen sprechen sich schon lange für die Beendigung der Sanktionen gegen Russland aus. Obama will es aber nicht und die Mutti will es dann natürlich auch nicht. Und die Menschen müssen es ausbaden. Danke Herr Schnaak.

  8. Mückenplage
    4. Januar 2017 at 18:13

    Ein staatlich russisches Medienunternehmen sagt immet die Wahrheit!

  9. Gerold Kühn, Berlin
    4. Januar 2017 at 16:51

    Nicht alles, aber vieles sehe ich auch so.

  10. Frank Geier
    4. Januar 2017 at 15:02

    Bin begeistert, dass hier im Schulzendorfer dieses Thema behandelt wird. Das Duckmäusertum von Frau Merkel gegenüber den Amis ist unerträglich. Ich kann ihren Einheitsbrei nicht mehr hören. Ein gutes Verhältnis zu Russland war für Deutschland immer vorteilhaft. Merkel und das CDU Politbüro tragen die Hauptschuld, dass es so schlecht ist. Soll sie doch mal nach Werder oder Frankfurt Oder fahren. Dort wissen die Obstbauern nicht mehr wo sie angesichts der bekloppten Sanktionen gegen Russland ihre Äpfel los werden sollen. Unmöglich, was diese Frau der Wirtschaft antut.

  11. BingeLaden
    4. Januar 2017 at 13:34

    Ich fine es sehr sehr gut, mal die Sicht der Medienleute in Moskau zu hören. Hier hört man pausenlos, der Russe ist der Böse. Dass das so ist, glauben ja immer weniger Menschen. Das Tehma Syrien hätte ich mir ausführlicher gewünscht. Es ist meiner Überzeugung nach immer so, dass in einem Krieg auch Bomben dahin fallen, wo sie nicht landen sollen. Man muss in der Diskussion dort ansetzen, wo die Wurzel der Auseinandersetzung liegt. Jedenfalls freue ich mich auf die Fortsetzung.

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