Wer Mitglieder der Partei Die Linke nach der Aktualität ihres Denkens befragt, stellt schnell fest, dass keine geschichtsphilosophische Hoffnung und kein Fortschrittsdispositiv vorhanden sind. (Als Dispositiv begreift man in der Soziologie nach Michel Foucault eine Gesamtheit bestimmter begrifflich fassbarer Vorentscheidungen, innerhalb deren sich die Diskurse und die sozialen Interaktionen entfalten können. Kurz: Vom Diskurs zum Dispositiv.)
Die Linke versteht sich lediglich als die Kraft links neben der SPD. So das unscharfe Ziel, das vorgegeben ist. Sie sieht sich selbst mit einem wachsenden Rückhalt in der Arbeiterbewegung, überdurchschnittlicher Bildung und einem hohen Maß an gesellschaftlicher Integration in Gewerkschaften und in der Kommunalpolitik verankert.
In der Wählergunst besteht diese Verankerung allerdings nicht. Dennoch beharrt sie darauf, für Arbeiter, Familien, Rentner und sozial Benachteiligte einzustehen. Warum funktioniert dieses Angebot nicht? Antwort: Es ist das nicht aufgearbeitete Verhältnis zum Konservatismus.
Zwei Fehler werden gemacht: Erstens. Die Politiker der Linken setzen nicht auf eine moderne politische Kritik in der Auseinandersetzung und Wählergewinnung, sondern übernehmen das Modell einer konservativen Kulturkritik. Zweitens. Die Politiker der Linken misstrauen den politischen Begriffen der Konservativen nicht grundsätzlich und verhindern es so, neue politische Begriffe zu entwickeln.
Aber gerade durch diese fehlenden und neu zu entwickelnden eigenständigen politischen Begriffen bleiben sie im Denken und im Vokabular im klassischen Denken der kommunistischen Weltanschauung verhaftet. Dieses nicht radikal aufgearbeitete Verhältnis zum Konservatismus verhindert die Beantwortung der Frage, wie sich politische Aufklärung gestaltet und wie sie sich politisch – praktisch durchsetzen könne.
Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung unterscheiden sich nicht nur in ihrem theoretischen Niveau, sondern auch in ihrer ethischen Grundorientierung. Diese Unterschiede sind der Grund für das Befremden, wenn die Namen Marx, Lenin, Stalin und Hitler von den Linken in einem Atemzug genannt werden.
Die Linke muss akzeptieren, das auch unter Berufung auf die marxistische Theorie Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes begangen werden konnten. Das ist ihr Erbe. Dieses Erbe kann sie nicht auf Verweis zu anderen Parteien relativieren. Da sie das aber macht, wird sie insbesondere in der Arbeiterbewegung und bei den Intellektuellen mit Argwohn betrachtet und als nicht lernfähig wahrgenommen.
Die Linke kann so nicht zu einer Partei der Herzen werden, sondern nur zu einer Partei linksradikalen, kommunistischen Denkens. Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung sind im ständigen gedanklichen Vergleich in der Partei Die Linke. Das macht sie altbacken und unmodern.
Und gerade die Anatomie des totalitären Denkens zeigt ja ein anderes Bild: „Beide Ideensysteme konnten trotz ihrer inhaltlichen Unterschiedlichkeit als Herrschaftsideologien totalitärer Diktaturen fungieren. Sie haben sich als tauglich erwiesen, Menschen zu begeistern, Überzeugte zu opferträchtigen Handlungen zu inspirieren und entsprechende Vorgehensweisen ( scheinbar ) moralisch zu rechtfertigen.“( Lothar Fritze: Anatomie des totalitären Denkens, Olzog Verlag, München, 2012 ).
Die Linke hat also ihre politische Rolle erst einmal in der Gesellschaft zu klären. Dass das bisher nicht gründlich genug erfolgt ist, ist auch mit der versuchten Bildung einer Populären Linke nachgewiesen. Identitätspolitik und Cancel – Culture sowie den gemeinsamen Abzug von Atomwaffen kritisieren bzw. durchsetzen zu wollen, reicht nicht einmal aus zur Mobilisierung der Partei. Schon gar nicht zur Mobilisierung der Bürger.
Sich der Staatsverachtung der Linksradikalen und den Clanstrukturen von Migranten gedanklich anzuschließen bzw., zu versuchen, sie sich zunutze zu machen, ist kein durchdachtes politisches Konzept. Es ist eben kein wirkliches Markenzeichen, sich wie Influencer zu geben und die Botschaft durch Influencer – Marketing zu verbreiten, dass man immer geiler wird, je mehr man sich auf die Partei Die Linke einlässt. Es ist schon klar, dass die Zurechnung von Ideen auf soziales Handeln schwierig ist.
„Die Analyse der Sozialrelevanz von Ideen hat zudem in Rechnung zu stellen, dass Ideen nicht nur Konsequenzen haben, die sich aus ihrer Struktur ableiten, sondern auch solche, die durch das Zusammentreffen mit Kontextbedingungen eigener Art entstehen.“ ( Ingrid Gilcher – Holtey: Kritische Theorie und Neue Linke ). Daraus folgt: Anstelle der konservativen Kulturkritik auf eine politische Kritik setzen. Den politischen Begriffen misstrauen, neue entwickeln. Den sozialistischen Gedanken mit dem christlichen, vor allem protestantischen, zu verbinden, wäre eine weit in die Zukunft weisende Aufgabe.
Für Die Linke eine überlebenswichtige Aufgabe. Gleichermaßen muss sich Die Linke ernsthaft mit dem Umweltgedanken beschäftigen. Es war schon immer politisch unklug, es ist altes Denken, die Umweltbewegung nicht ernst zu nehmen. Die Linke müsste eine völlig andere Partei werden. Ob sie dazu in der Lage ist, kann bezweifelt werden.
Die Linke, sonst immer sehr gern vorneweg mit flotten politischen Sprüchen, scheint in die Schockstarre gefallen zu sein. Sie hat keine Meinung, sie schweigt lieber. Das Schweigen der Partei ist aktuelles Programmstück. Es heißt modern: “Die Linke: The Art of Losing.” Ist gut für die Ohren und für das Gemüt.