Zeuthen ist sich nicht grün: Ausgerechnet ein GRÜNER ist für die Abholzung von Bäumen

7. Juli 2018
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In Zeuthen wird seit Wochen heftig über den Ausbau der Landesstraße L401 (Seestraße/ Goethestraße) gestritten. Im Mittelpunkt steht die Fällung von 261 Alleebäumen. Der Gemeindevertreter Jonas Reif (Bündnis 90/ Die GRÜNEN) versetzt die Öffentlichkeit mit seiner Position in Erstaunen. Reif ist studierter Landschaftsplaner und zertifizierter Baumkontrolleur. An der TU Dresden lehrte er mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Pflanzenverwendung. Seit 2011 ist er Chefredakteur der Fachzeitschrift „Gartenpraxis“. Der Schulzendorfer sprach mit ihm:

Herr Reif: Nachdem Sie sich 2015 noch gegen eine Fällung der Allee ausgesprochen haben, vertreten Sie seit 2016 eine ganz andere Meinung. Wie erklären Sie den Bürgern diesen Sinneswandel?

Emotional ist das ganz schwierig, aber mit rationalen Argumenten lässt sich dies schon vermitteln.

Dann versuchen Sie es doch mal rational!

Als ich 2015 das erste Mal davon gehört habe, dass alle Bäume dieser prächtigen, ortsbildbestimmenden Allee gefällt werden sollen, war das für mich unvorstellbar – zumal der Landesbetrieb Straßenwesen, der die Fahrbahn grundhaft erneuern will, kaum ein Baum neu pflanzen wollte. Damals hieß: Ihr wollt eine neue Straße und Geh- und Radwege, dann bleibt kein Platz mehr für Bäume.

Jonas Reif (Bündnis 90/Die Grünen), Foto: mwBild

Jonas Reif (Bündnis 90/Die Grünen), Foto: mwBild

Und was genau hat Sie dann umdenken lassen?

Das waren zwei Punkte:

Ich habe mir die Bauunterlagen genau angesehen. Obwohl die Fahrbahn etwas schmaler werden soll, als sie bislang ist, müsste man bis haarscharf an die Stämme der heutigen Bäume „heranarbeiten“. Selbst wenn man hier in der Bauphase hochsensibel vorgeht, würde es langfristig zu Schäden an den Bäumen kommen. Statt einer teildurchlässigen Pflasterung hätte man dann eine Asphaltschicht. Damit würden dann zahlreiche, über Jahrzehnte gebildete Wurzeln, die für die Statik des Baumes wichtig sind, verkümmern. Damit würde man ein erhebliches Sicherheitsrisiko schaffen. Auch eine wirkliche Verbesserung der Gehwegsituation ist nicht möglich, solange man Wurzeln unangetastet lässt.

Wir haben hart mit dem Landesbetrieb verhandelt und ihnen klar gemacht, dass es auf keinen Fall einen Ausbau ohne Neupflanzung einer Allee mit richtigen Bäumen geben wird.  Das war ein zähes Ringen, aber letztlich hat der Landesbetrieb eingelenkt – selbst Radfahrer müssen nicht auf die Straße ausweichen.

Kritiker der geplanten Fällung weisen auf den schon erneuerten Abschnitt der L401 (Linden-  und Fontaneallee) hin. Dort war es doch auch möglich, viele Bäume zu erhalten.

Auf den ersten Blick scheint das so zu sein. Bei genauerer Betrachtung fällt dann aber auf, dass der Straßenraum dort doch breiter ist. Zum Zeitpunkt der Baumaßnahme standen die meisten Bäume einen halben bis ganzen Meter weiter weg vom Fahrbahnrand. Das mag wenig sein, aber die Dicke von Wurzeln nimmt vom Baum aus gesehen nahezu exponentiell ab. Die Größe der Wurzelschäden ist von elementarer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit eines Baumes, da durch diese holzzerstörende Pilze eindringen können. Während sich Totäste bei regelmäßigen Baumkontrollen relativ leicht erkennen und entfernen lassen, sind Schäden unter der Erde schwer zu diagnostizieren. Und dann wundern sich alle, wenn ein scheinbar gesunder Baum plötzlich umfällt.

In Brieselang, westlich von Berlin, hat man trotzdem versucht eine Straße entlang einer alten Baumreihe auszubauen – mit dem Ergebnis, dass fast alle im letzten Jahr bei Herbststurm Xavier umgekippt sind.

 

Eine Wurzel hält den Bordstein fest. (Foto: mwBld)

Eine Wurzel hält den Bordstein fest. (Foto: mwBld)

Gibt es denn gar keine Chancen für den Erhalt?

Doch. Dies wäre der Erhalt des Zustands quo ohne jegliche Maßnahme. Das würde aber bedeuten, dass man die Anwohner, die seit 20 Jahren für den Ausbau kämpfen, verprellen würde. Seit 2015 ist bekannt, dass es der Landesbetrieb mit dem Ausbau der L401 ernst meint. Das wurde auch in den Medien und im Amtsblatt so deutlich kommuniziert. Dennoch waren es damals nur wenige, die den Erhalt der bestehenden Alleebäume gefordert haben – viel weniger als heute. Aus meiner Sicht wäre es damals legitim gewesen, eine Abstimmung über die Notwendigkeit des Ausbaus zu fordern.

2016 hat die Gemeindevertretung dann ihr okay zum Ausbau gegeben. Das wir uns in der letzten Gemeindevertretung noch einmal mit dem Thema befasst haben, lag nur daran, dass die Gemeinde 2017 eine mehrdeutig interpretierbare Stellungnahme zum Planfeststellungsverfahren eingereicht hat. Hierzu sollte noch einmal eine Klarstellung abgegeben werden – es ging also nicht mehr um eine Grundsatzentscheidung.

Sie kritisieren also die Bürger, die sich jetzt für den Erhalt der Allee stark machen?

Nein. Ich freue mich, dass so viele Bürger die Bedeutung der Alleen genauso wichtig erachten wie ich selber. Ich bitte aber um Verständnis, dass sich Gemeindevertreter an Spielregeln halten müssen. Verlässlichkeit ist für eine transparente Politik von größter Bedeutung. Verfahren mit vielen Beteiligten sind leider häufig sehr langjährig. Auch helfen uns öffentlich ins Spiel gebrachte „Alternativen“ nicht, die fachlich nicht belastbar oder überprüfbar sind. Ich wünsche mir sogar noch mehr Bürger, die sich in Verfahren einbringen – genauso bitte ich aber auch im Nachgang darum, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren.

Sie führen aber noch weitere Argumente für eine Neupflanzung der Allee an.

Beim Baumschutz herrscht leider eine sehr statische Betrachtungsweise. Zeuthen hat nicht nur diese 261 Straßenbäume, sondern fast 5.000 – etwa die Hälfte davon sind Linden. Das bedeutet einerseits, dass Linden hier „gut funktionierende“ Straßenbäume sind und zudem einen ortsbildprägender Charakter haben, andererseits aber auch, dass wir fast schon von Monokulturen sprechen müssen. Und genau darin liegt das Problem für die Zukunft. Momentan treten in Mitteleuropa so viele Baumkrankheiten wie nie zuvor auf. Jahrzehntealtes Wissen um geeignete Straßenbäume können wir damit über den Haufen werfen. Noch vor zwanzig Jahren galten Platanen und Eschen als die idealen Straßenbaumarten, heute kann man sie nicht mehr mit guten Gewissen pflanzen. Kastanien und heimische Eichen scheiden inzwischen auch aus. Da niemand genau sagen kann, welcher Schädling als nächstes auf den Plan tritt und Entscheidungen zur Baum Wahl immer langfristig sind, raten Wissenschaftler zu einer größtmöglicher Vielfalt – also in jeder Straße eine andere Baumart. Wir müssen jetzt Entscheidungen treffen, damit der Anteil der Linden langfristig nur noch bei vielleicht 20% Prozent liegt. Selbst dieser Anteil könnte verheerend sein, wenn ein Linden-spezifischer Schädling auftritt.

Hier hat eine Wurzel den Bordstein ausgehoben. (Foto:mwBild)

Hier hat eine Wurzel den Bordstein ausgehoben. (Foto:mwBild)

Aber Linden werden doch wegen ihrer Bedeutung für die Bienen so geschätzt?

Was nutzt uns ein wahres Überangebot an Nektar und Pollen im Juni, wenn es davor und danach nicht ausreichend davon gibt? Bei der Wahl zukünftiger Baumarten sollte das Thema Insektennahrung natürlich eine große Rolle spielen. Mit anderen Baumarten lässt sich das Nahrungsangebot auf einen deutlich längeren Zeitraum erweitern.

Hand aufs Herz: Sie werden also nicht traurig sein, wenn die Linden in der L401 gefällt werden?

Natürlich werde ich heulen. Aber Sentimentalität macht uns in diesem Fall nicht zukunftsfähig.

One Response to Zeuthen ist sich nicht grün: Ausgerechnet ein GRÜNER ist für die Abholzung von Bäumen

  1. BingeLaden
    8. Juli 2018 at 07:29

    Ohne Wurzelschäden wird eine Straßensanierung nicht möglich sein. Wem nützt es, wenn die Bäume dann nach 3 oder 4 Jahren umkippen. Dann wird wieder alles aufgerissen.

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